Stilrichtungen & Begriffe aus der Welt der Tattoos


Trash Polka

Entstanden ist der Begriff „Trash Polka“ 1998 im beschaulichen Würzburg. Trash Polka ist also eine deutsche „Erfindung“. Charakteristisch für den Tattoo-Stil ist die Kombination von realistischen Bildern (in der Regel in Black-and-grey, also in schwarz-weiß) mit scheinbar „wild“ überlagerten Collagen aus Schriften und abstrakten Grafiken – innerhalb von diesen „Layern“ sind dann sparsam, aber kontrastreich und ins Auge fallend farbige Akzente gesetzt (typischerweise in leuchtendem Rot). Eine stilistische Verwandtschaft mit dem „verzerrten“ Grafikdesign und der Typografie der späten 90er ist durchaus zu entdecken. Der Begriff „Polka“ überträgt das Konzept des musikalischen Rhythmus auf den grafischen Rhythmus, der menschliche Körper und seine Bewegung sind das verbindende Element.

Simone Pfaff und Volker Merschky (mit fachlichem Background in den Bereichen Innenarchitektur, Grafikdesign, Malerei, Fotografie und Musik) nannten ihren neu entwickelten Tattoo-Stil zuerst „Realistic Trash Polka“, kürzten ihn aber nach einiger Zeit um das erste Wort ein. Trash Polka revolutionierte die festgetretenen Pfade der deutschen Tattoo-Ästhetik und erregte bald internationale Aufmerksamkeit. Inzwischen hat der Tattoo-Stil Anhänger rund um den Globus gefunden.


Neo Traditional

Das klassische Old School Tattoo modern interpretiert: Auf diese vereinfachende Formel lässt sich der Tattoo-Stil „Neo Traditional“ bringen. Typisch sind breite, dynamische Outlines und eine realistischere Anmutung der Motive und Cartoons. Thematisch kreist Neo Traditional ursprünglich weitestgehend um die klassischen Motive der amerikanischen Tattoo-Tradition – als eine mit den verbesserten Techniken des Tätowierens gewachsene Stilrichtung erweitert sich aber im Neo Traditional die Spannbreite der Darstellungen mit den kreativen Wünschen der Kunden. Ein ästhetischer Anklang an die grafische Formensprache des Jugendstils ist beim Neo Traditional unübersehbar.

Neo Traditional zählt zu den meiner Meinung nach ästhetischsten Stilrichtungen des Tätowierens – nicht von ungefähr erinnert der  Stil in seiner perfekten Balance von Form und Inhalt, dem fließenden Übergang von Bildelementen und ornamentalem Schmuck an die gestalterische Perfektion des Jugenstils. Realistische Detailtreue wird kombiniert mit der betont grafischen Dynamik der Old School Tattoos. In seiner ausgewogenen Formensprache, den harmonischen Farbkombinationen und den subtilen Verspieltheiten ist Neo Traditional eine ausgesprochen feminine Stilrichtung und gewissermaßen ein gelungenes „Gegenmanifest“ zu den „Rocker-Stereotypen“der Branche.


Old School

Old School aka Traditional ist die seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstandene und erste eigenständige westliche Stilrichtung der Tätowierkunst. Sie war entstanden aus den von Seeleuten (die sich wiederum von den tätowierten Eingeborenen Polynesiens und anderer exotischer Regionen hatten inspirieren lassen) auf ihrer sonnengegerbten Haut mitgebrachten simplen Kunstwerken. Das ist der Grund, warum die Motivwelt der Old School Tattoos immer noch oft und gern maritime Symbole zitiert: Anker, Schiffe, Meerjungfrauen, nautische Sterne. Pinups ergänzen als erotisches Standardaccessoire das Old School Repertoire. Den technischen Einschränkungen der Entstehungszeit geschuldet zeichnen sich Old School Tattoos durch grobe Outlines und ein reduziertes Farbschema mit leuchtenden Farben aus. In der amerikanischen Kultur nennt man Old School „Western Traditional“. Typische weitere Motive: Schwalbe, Dolch mit Herz, Schlangen und so weiter.


Comic

Hier brauchen nicht viele Worte verloren zu werden. Comics gehören aktuell zu den beliebtesten Tattoomotiven – die Stilistik passt sich dabei den gedruckten Vorlagen der Superhelden, Disneyfiguren – oder Mitgliedern der Simpsonsfamilie an. Größtmögliche Nähe zum Original wird vom Tätowierer angestrebt.


Biomechanik

Was unter der flüchtigen Hülle unserer Haut alles sein könnte, wenn wir verkappte Cyborgs wären – dies interpretiert das Genre Biomechanik in immer neuen Varianten. Da blitzt Metall unter scheinbar zerfetzter Haut auf, da pumpt Hydraulik in bester Jules-Verne-Tradition imaginär Bewegung in stählerne Gelenke. Die Anatomie des menschlichen Körpers wird kreativ vielfältig kombiniert mit mehr oder weniger plausiblen technischen Konstruktionen. In der Regel bieten sich Arme und Beine für besonders spektakuläre und komplexe Biomechanik-Tattoos an. Charakteristisch und das Genre Biomechanik definierend ist die dreidimensionale „Durchdringung“ des zu tätowierenden Körpers mit phantasievollen organischen Konstrukten, dabei muss nicht immer Metall dargestellt werden.


Realistic Tattoos

Der Tätowierer als Fotokopierer … Was sich vielleicht etwas despektierlich lest, ist keineswegs so gemeint. Realistische Tattoos gehören zu den schwierigsten überhaupt. Durch die technische Entwicklung des Tattoo Equipments der letzten Jahre erst möglich geworden, zählen die „larger-than-life“-Motive mit ihren brillanten Farben und ultra-scharfen Lichtkanten zu den unbestrittenen Tattoo-Trends der Gegenwart. So  sind die Realistic Tattoos gewissermaßen das hautbildnerische Äquivalent zum HD-Fernsehen. Als „state-of-the-art“ dessen, was sich in Sachen Details, Präzision und Farbraum beim Tätowieren aktuell umsetzen lässt, sind realistische Tattoos besonders „schutzbedürftig“. Die Sonne ist der größte Feind der vom Kontrastreichtum lebenden Realistic Tattoos. Besonders beliebte und typische Motive der realistischen Stilrichtung sind Stars aller Genres, Familienangehörige der Kunden und Tiere.


Japanische Tattoos

„Irezumi“ – das ist die Bezeichnung für das traditionelle japanische Tätowieren. Es gibt Spekulationen, die Tradition der bleibenden Hautverzierung im Land der aufgehenden Sonne reiche bis zu 10.000 Jahre zurück, also bis an die Anfänge der menschlichen Kultur in der Altsteinzeit. Um 300 nach Christus galten Tätowierungen in Japan als Statussymbol, gerieten aber dann für eine Übergangszeit zu einem Symbol für Kriminelle und wurden sogar als Strafe verhängt. Ab dem 17. Jahrhundert begann sich die dekorative japanische Tätowierkunst, wie wir sie heute kennen, zu entwickeln. Die japanischen Tattoomotive sind hochsymbolisch und seien es Blumen, Tigern oder Drache – jedes Detail hat eine ganz explizite Bedeutung. Das allein sollte klar machen, dass es eine große Herausforderung für nicht der japanischen Kultur entstammende Tätowierer ist, japanische Tattoos anzufertigen, ohne thematisch in ein Fettnäpfchen zu treten.


Liner/Shader

Die Begriffe „Liner“ und „Shader“ hat wohl jeder mit dem Tätowieren flüchtig Vertraute schon einmal gehört. Die Begriffe sind eigentlich selbsterklärend. „Liner“ dienen dem präzisen Tätowieren von Konturen von Linien, unterschieden wird dabei in Liner für dünne und dicke Linien. „Shader“ sind – wie der Name schon sagt – vorrangig für das Schattieren von Tätowierungen gedacht, ebenso aber für das Füllen von Flächen und unter Umständen auch für das Tätowieren massiver Konturen.


Sleeve

„Sleeve“ bedeutet ins Deutsche übersetzt „Hülle“ – und in diesem Sinne wird mit diesem Begriff eine entweder als Gesamtkunstwerk komponierte oder durch eine  Ansammlung von Einzeltattoos komplette Umhüllung von Arm oder Bein mit tätowiertem Artwork verstanden. Ein durchkomponierter Sleeve erfordert viel Feingefühl für die menschliche Anatomie in all ihren Bewegungsabläufen und perspektivischen Feinheiten. Lasst euch doch mal überraschen, welche irritierend große Fläche ein „ausgerolltes“ Bein einnimmt.


Cover-up

Sowohl in der Auswahl der Motive wie auch in punkto handwerkliche Qualität sind in den letzten Jahren die Ansprüche an die Tätowierkunst gestiegen. Zudem nagt an den Tattoos – bedingt durch Sonne und weil die Haut immer ein lebendes Organ bleibt – der Zahn der Zeit. Ist die Lust aufs Tätowieren ungebrochen, ist ein Cover-up „best practice“ für das alte und ungeliebte Tattoo.  Ein neues Tattoo wird maßgeschneidert über das alte konzipiert. Dabei ist zu beachten, dass das Cover-up oft eine größere Fläche einnimmt als das zu überdeckende Tattoo. Das liegt darin begründet, dass das alte Tattoo oft im Hintergrund des neuen Motivs verborgen wird.


Stencil

Das Stencil ist die Schablone mit den Umrissen des zukünftigen Tattoos. Je komplexer das Tattoo, desto mehr erinnert dann auch das Stencil an hochkomplizierte geologische Landkarten mit Höhenprofilen etc. Jeder Tätowierer handhabt den Detailreichtum seines Stencils ganz nach persönlicher Vorliebe unterschiedlich detailreich. Manch einer verzichtet komplett darauf und arbeitet frei Hand. Stencil-Papier basiert auf einem ähnlichen Prinzip wie das gute, alte Blaupapier plus einem zusätzlichen Trägerpapier, welches das Motiv auf die Haut des Kunden bringt. Mit speziellen Thermodruckern kann man Stencils mittlerweile auch bequem ausdrucken.

Silberhaut

Mit dem wie aus einem Märchen stammenden Begriff „Silberhaut“ bezeichnet man die erste, sich nach dem Tätowieren neu bildende Hautschicht, die Epidermis. Ihr diffus silbriger und an Perlmutt erinnernder Schimmer lässt das Tattoo minimal blasser erscheinen als es eigentlich ist. Die sich eigentlich nur alle vier Wochen erneuernde Epidermis beschleunigt ihren Erneuerungsprozess bei der Wundheilung (… und eine Wunde ist ein frisches Tattoo im medizinischen Sinne immer) enorm, so dass die Silberhaut sich – abhängig vom der ganz persönlichen Wundheilung schon nach einigen bilden kann. Die Silberhaut erneuert sich – meist relativ unbemerkt vom Träger – noch einige Male und kann mehre Wochen bis Monate erhalten bleiben. Wie bei jedem frischen Tattoo ist auch noch für das Tattoo mit Silberhaut das Kratzen tabu!