Tätowieren: älter als du denkst
Also, die Bibel war eindeutig gegen Tattoos …
„Und einen Einschnitt wegen eines Toten sollt ihr an eurem Fleisch nicht machen; und geätzte Schrift sollt ihr an euch nicht machen. Ich bin der Herr.“ (3. Mose 19,28)
Das hinderte einige frühe Christen jedoch nicht, sich in ihren Erdlöchern die Haut zu verzieren. Und schon ein paar tausend Jahre vorher stiefelte ein Typ durch die Ötztaler Alpen, der bei seinem Ableben zum Glück daran dachte, im Interesse der Wissenschaft vorausschauend an seine korrekte Konservierung zu denken und sich in eine Gletscherspalte fallen zu lassen. 61 Tätowierungen zieren Ötzis mumifizierten Körper. Vorwiegend geometrische Muster, Punkte und Linien.
Noch älter sind aber die Tätowierungen zweier im British Museum in London aufbewahrten Mumien aus dem oberägyptischen Gebelein: 5350 Jahre haben deren Hautverzierungen „auf dem Buckel“. In Reihen angeordnete S-förmige Zeichen verzieren Schulter und Rücken der weiblichen Mumie, ein Stier und ein Mähnenschaf den rechten Oberarm der männlichen Mumie.
Großflächige Tätowierungen sind auch von den Skythen bekannt, einem Reitervolk der russischen Steppen der Eisenzeit.
Auffällig ist, dass das Tätowieren ganz offensichtlich an verschieden Orten unserer Erde unabhängig voneinander entstand. So gab es nicht nur die bekannten rituellen Tätowierungen in der polynesischen Region (zum Beispiel in der Kultur der Maori), sondern auch die religiös motivierten Tattoos im mittelalterlichen Europa. Der Gelehrte Heinrich Seuse trug etwa schon im 14. Jahrhundert den Namen „Jesus“ auf seiner Brust, im Jahr 1503 erregte in Deutschland ein Mädchen Aufsehen, dass am ganzen Körper mit religiösen Motiven tätowiert war.
Die große Ära des Seefahrens mit ihren nicht nur in punkto Hautverzierungen experimentierfreudigen Matrosen sorgte für eine weite Verbreitung in den „seefahrtnahen“ Milieus. Doch es blieb nicht bei der Begrenzung in den niederen Schichten. Im Gegenteil. Das 19. Jahrhundert ließ das Tattoo zu einem Statussymbol der Adligen werden. Zar Nikolaus II. von Russland, die englische Queen Victoria und Elisabeth „Sissi“ von Österreich-Ungarn – sie alle waren tätowiert.
Einen ethischen Tiefpunkt erreichte die Historie des Tätowierens im Dritten Reich, als Tätowierungen sowohl auf der Seite der Täter wie auf der Seite der Opfer zu pragmatischen Markierungen im Dienst einer Vernichtungsbürokratie gerieten: Jüdische Häftlinge in Auschwitz wurden mit Tinte unter der Haut „durchnummeriert“, die „Herrenmenschen“ der SS wiederum hielten es für eine gute Idee, sich für alle Fälle ihre Blutgruppe in die Inneseite des linken Oberarms tätowieren zu lassen.
Eine besondere gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung hatten und haben Tattoos in Japan. Man nennt sie hier Irezumi (bedeutet soviel wie „Tinte einbringen“). Bereits im 3. Jahrhundert finden sie schriftliche Erwähnung. Im 17. Jahrhundert waren Tattoos dann besonders bei Prostituierten populär. Und im 18. Jahrhundert begann man, Verbrecher mit Tattoos zu „markieren“, was verständlicherweise zu einer Stigmatisierung der Hautbilder führte. Kein braver Japaner ließ sich fortan seinen Körper verzieren. Im Umkehrschluss wurden Tätowierungen zum Statussymbol bei der Yakuza , der – vereinfacht gesagt – „japanischen Mafia“, dieser nicht beabsichtigte Effekt führte gegen 1870 zu einem allgemeinen Verbot von Tattoos. Dieses wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgehoben. Typisch für die japanische Tattoo-Ästhetik sind Motive von Dämonen und Drachen, von Kirschblüten und Kois – sowie der „Bodysuit“, ein den gesamten Körper (minus Kopf, Füße und Hände). Typisch japanisch ist zudem die lebenslange Treue zu ein und demselben Tätowierer. Der Einfluss der japanischen Tätowierkunst auf die Trends in der westlichen Tattooszene ist auf Grund der hohen gestalterischen Qualität stetig am Wachsen.