Tattoos und Typographie: eine schwierige Beziehung

Die Sprache hat den Menschen zu der mit (mehr oder weniger) Bewusstsein ausgestatteten Kreatur vollendet, die er heute ist. Die Schrift mit ihrer Fähigkeit, Sprache in abstrakter Form für die Ewigkeit festzuhalten – und damit Gedanken, Überzeugungen und Ideen zu bewahren und weiterzutragen – ist mit Sicherheit eine der größten Leistungen und Erfindungen unserer Spezies.

Es ist also naheliegend, dass sich Sprache und Schrift auch in vielen Tattoos wiederfinden. Oft sehr persönliche Dinge werden da in symbolischen oder ganz konkreten Texten aufgearbeitet und unter die Haut gebracht. Zitate, Songtexte, Wortspiele, Symbole und Zahlen tummeln sich auf Armen und Beinen, Fingern und Schultern. So manche komplette Gedichtstrophe schlängelt sich wortreich über den einen oder anderen Oberschenkel. Es soll in diesem Blogpost auch nicht um die Inhalte der tätowierten Texte gehen, dazu vielleicht später einmal mehr.

Vielmehr folgen ein paar Gedanken zur äußeren Form der über unsere Haut wimmelnden Buchstaben, Zeichen und Zahlen – der Typographie. Vielleicht ist es ein speziell deutsches Phänomen, die Darstellung von Schrift gegenüber der Ästhetik der Bilder geringzuschätzen und zu vernachlässigen. Da werden dann Weltklasse-Motive auf höchstem handwerklichen Niveau mit den erstbesten Schriften kombiniert, die das Betriebssystem hergibt und die einigermaßen thematisch passen. Betonung auf einigermaßen, denn gern nimmt man dann antik römische Schriften für Mittelaltertattoos oder umgekehrt. Zur typographischen Schlampigkeit kommt die historische.

Zur Beliebigkeit bei der Auswahl der Schriftart gesellt sich dann oft noch ein irriterend salopper Umgang mit typographischen Parametern wie Zeilenabstand, Interpunktion und Textplatzierung. Alles in allem herrschen Baustellenzustände, wenn es um Text auf deutscher Haut geht.

Typografische Gestaltung interpretiert immer. Jeder Text, ob Zeitungsnotiz, lyrisches Gedicht oder Gebrauchsanweisung, wird durch die Typografie, in der er zu lesen ist, beeinflußt.

Hans-Peter Willberg

Was kann Abhilfe schaffen? Zum ersten: Etwas zu akzeptieren, was man auch in allen anderen grafisch verwandten Berufen beobachten kann – wer einen perfekten Instinkt für ideale Bildwelten hat, kann ein Totalversager in Sachen Schrift (und wie man sie gediegen darstellt) sein. Natürlich geht auch das wieder umgekehrt, ersteres ist aber deutlich häufiger zu finden im Tattoobusiness.

Selbsterkenntnis ist hier der erste wichtige Schritt. Die Suche nach jemandem, der typographisch talentiert ist und dem Tätowierer beratend zur Seite stehen kann, der zweite Schritt. Sollte sich das als zu schwierig erweisen, helfen auch entsprechende Fachbücher oder passende Tutorials.

Unerlässlich ist allerdings das Ablegen der überheblichen Einstellung, Schrift sei bei einem Tattoo „Nebensache“.

11 Tätowierte sollt ihr sein …

Warum ist ausgerechnet Cristiano Ronaldo auf dem illustrierenden Foto zu diesem Artikel abgebildet? Wo bitte versteckt sich sein Tattoo? Genau! Nirgendwo! CR7 ist nämlich die große Ausnahme eines Phänomens, der sich zur WM 2014 als Trend abzeichnete und zur aktuellen Weltmeisterschaft 2018 zu einem Quasi-Standard im Erscheinungsbild des professionellen Fußballers mutiert ist.

Es ist schwer, bei den Spielen in Russland einen Kicker auszumachen, der da nicht üppig Tinte unter der Haut hat. Während diese Zeilen geschrieben werden, bahnt sich eine tragische Niederlage Argentiniens gegen Kroatien ab – und auf beiden Seiten gibt es reichlich Tattoos. Hier Messi, da Mandžukić. Eventuell machen kulturelle Nischenmanschaften wie Südkorea eine Ausnahme vom allgegenwärtigen Hype, das haben wir noch nicht überprüft.

Viel wird hineingedeutet in den omnipräsenten Hautschmuck – vor allem auf den Unterarmen – der Fußballmillionäre. Die Haut – das größte Organ des Homo Sapiens Sapiens – als letztes autonomes Territorium des ansonsten von Verein, Spielerberatern, Managern und Werbeverträgen geknebelten, entmündigten und fremdbestimmten Fußballjünglings. Als Ausdruck der Selbstbestimmung, einer Art moderner, permanenter Kriegsbemalung – wie auch immer.

Bei der Wahl des Motivs herrscht nicht unbedingt allergrößte Originalität. Uhrenmotive stehen hoch im Kurs auf dem grünen Rasen. Wahrscheinlich als Metapher für ein Lebensmotto à la „Carpe diem“ beziehungsweise „Memento mori“. Whatever. Was dem überdurchschnittlich talentierten Fußballer in seiner Freizeit abseits seiner PlayStation eben so an philosophischem Material durch den Kopf geht.

Nicht unschuldig an den herrschenden Zuständen ist ein Brite namens David Beckham (die älteren Leser – mittlerweile vom Rheuma geplagt – werden sich erinnern). Mehr als vierzig Tattoos zieren die Haut des mittlerweile zum Ritter des britischen Empire geschlagenen Sohn eines Kücheninstallateurs und einer Friseurin.

Spannend bleibt vor allem, wie sich in vier Jahren zur WM 2022 der prototypische Fußballer präsentiert. Wir vermuten, dass sich die Tätowierungen auf das Gesicht ausweiten werden und DNA-Tests vor dem Spiel notwendig sein werden, um zu verifizieren, wer da eigentlich spielt.

P.S. Angeblich ist Cristiano Ronaldo aka CR7 vor allem deshalb nicht tätowiert, weil er regelmäßig Blut spendet. Mittlerweile ist ja aber „untätowiert“ in seiner Berufsgruppe rebellischer als „tätowiert“

P.P.S. Kroatien schlägt Messi und Co. am Ende mit 3:0 – don’t cry for me, Argentina …

Der Donald auf der Hühnerbrust – Tattoo und Urheberrecht

Das Tätowieren und die Bildrechte … Ein Thema, das in den entsprechenden edlen Zirkeln immer mal wieder kurz angerissen, mit Milchmädchenweisheiten plattgemacht und wieder wohlwollend vergessen wird. Damit beschäftigt man sich ungern, weil es einerseits so komplex ist, das Labyrinth der Rechtsvorschriften zu verstehen und weil es andererseits so einfach ist, aus Bequemlichkeit das erstbeste tolle Bild zu tätowieren, das Google ausgespuckt hat. Ein paar Schatten und Verläufe als originalen künstlerischen Beitrag drumherum, fertig ist der Lack und die vermeintlich eigene „Schöpfungshöhe“ in einem „neuen Werk“ erreicht. Das ist aber auch nur eine Facette des Dschungels, in den ihr euch begebt, wenn ihr tatsächlich Licht ins Dunkel dessen bringen wollt, was rechtlich zulässig ist bei der Motivwahl eurer Hautbilder.

Vorab: Es gibt leider keine einfachen Antworten oder eine Checkliste, die man abarbeiten könnte, um am Ende zu wissen, ob man als Tätowierer oder Tätowierter auf der sicheren Seiten ist. Nach DIN-Norm und mit Ewigkeitsgarantie. Dafür sind es einfach zu viele Parameter, die in das Gesamtszenario hineinspielen. Warum ist das so?

Verschiedene Beteiligte sind Protagonisten dieses Spiels: Der Urheber des möglicherweise bei Google gekaperten Motivs – es könnte sich dabei um solch prominente Personen wie Pablo Picasso, Salvador Dalí, Albrecht Dürer oder Walt Disney handeln, der Tätowierer selbst, der unter Umständen selbst Star genug ist, um Forderungen anzumelden, wie mit seinen Werken zu verfahren sei – und dann der Tätowierte selbst …

Umreißen wir kurz die möglichen Szenarien.

Variante A:) Der Tätowierte hat mal einigermaßen okay Fußball gespielt, ist jetzt ein Promi im mehr oder weniger Ruhestand und möchte eines seiner zahlreichen Tattoos in den Mittelpunkt einer Werbekampagne für … beispielweise … Erwachsenenwindeln stellen. Nennen wir den Goldfuß einfach mal Bavid Deckham. Im konkreten Fall verhinderte der Tätowierer erfolgreich den Launch der Kampagne und eine Menge kreatives Geld und kreatives Gehirnschmalz (falls es so etwas gibt) waren verbrannt.

Variante B:) Ein Tätowierer bringt das Bild eines zeitgenössischen Fotografen in feinstem Realistic-Style unter die Haut. Der Fotograf des ursprünglichen Motivs ist Amerikaner, der Tätowierer ein Deutscher, der Tätowierte ein Russe. Welches nationale oder internationale Recht greift? Der Fotograf verklagt den Tätowierer, in der Annahme, das der ordentlich Gewinn mit dem Tattoo gemacht hat. Was aber, wenn der Tätowierer nur die Materialkosten berechnet hat, weil der tätowierte Russe sein Schwager ist und ihn zum Tattoo mehr oder weniger überredet – oder wie Juristen sagen würden – „angestiftet“ hat. Ihr merkt, es wird nicht einfacher.

Variante C:) Das Markenrecht gibt es dann ja auch noch. Wird es Coca Cola interessieren, wenn Du deren Logo auf deinen Rücken tätowieren lässt? Wahrscheinlich nicht wirklich. Sehr wohl aber schon, wenn du in irgendeiner Weise prominent werden solltest und deinen Instagram-Posts mit – untern anderem – Bildern deines tätowierten Rückens Millionen Follower Aufmerksamkeit schenken. Solltest du allerdings super gut Bomben basteln können und Staatsfeind Nr. 1 sein, wird Coca Cola sich früher oder später das Verwenden seines Logos im Kontext mit Lichtbildern deiner Person verbitten, und das sicher nicht zum Schnäppchenpreis. Achtung: Das Beispiel ist zugespitzt 😉

Variante D:) Nicht zu vergessen: das Recht am eigenen Bild. Für die verlassene Geliebte mag es von psychologischem Wert sein, ein Urlaubsfoto des treulosen Kameraden als Grundlage für ein tätowiertes Hinrichtungsszenario zu verwenden – dessen Chancen zu klagen, sobald das Tattoo in der Öffentlichkeit auftaucht, dürften wiederum groß sein.

Woran kann man sich orientieren? Gehe im Zweifel davon aus, dass fast alle Bilder, die du in einem 08/15 Google-Suchlauf findest, urheberrechtlich geschützt sind – noch komplizierter wird es, wenn Bilder von Filmszenen oder Porträts von Popstars verwendet werden. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß – dieses Motto sorgt in 99,9% der Fälle dafür, dass die generierte Aufmerksamkeit dem eines in China umgefallen Sackes Reis entspricht. Doch absolut verlassen solltest du dich nicht darauf.

Sind die Urheber des Motivs schon länger als 70 Jahre tot, ist das prinzipiell von Vorteil. Zwar soll wohl auch schon wegen Dürers „betenden Händen“ in tätowierter Form prozessiert worden sein, aber das sind dann wohl theoretische Haarspaltereien.

Schriftliche Vereinbarungen zwischen Tätowierer und Tätowiertem darüber, inwieweit beide Parteien das tätowierte Motiv via Instagram oder Facebook unter das gelangweilte Fußvolk bringen oder sogar durch jedwede Veröffentlichung monetarisieren dürfen, sind prinzipiell von Vorteil.

Aber vernichtet man ein Kunstwerk, wenn man ein ungeliebtes Tattoo covern lässt und ist das von irgendwelcher juristischen Konsequenz? Was meinst du? Deine Sichtweise interessiert mich!

Donald Duck als Tattoo

Eine Comic-Ente auf die Hühnerbrust- Was wohl Walt Disney in seinem Grab dazu meint?

Tätowieren: Handwerk oder Kunst?

Es gibt Tätowierer, die sehen sich auf einer Stufe mit Leonardo da Vinci, Albrecht Dürer oder Vincent van Gogh. Sie betrachten das Tätowieren und den (mehr oder minder) kreativen Prozess im Vorfeld als Schöpfungsakt, vollzogen im Elfenbeinturm unter stürmischen Küssen der Muse … Andere Tätowierer sind da pragmatischer. Für sie ist das Tätowieren in erster Linie eine Dienstleistung. Handwerkliche Qualität wird garantiert und geliefert, aber man sieht sich gewissermaßen als Fotokopierer mit dem Bedruckstoff „menschliche Haut“. Dass irgendwann Tätowiermaschinen Fotos in HD unter die Haut bringen werden, steht auf einem anderen Blatt und soll jetzt nicht Thema sein. Ich gehe davon, dass ich dann sicher längst im Rollator Runden im Pflegeheim drehen werde (à la Stephen Kings/Stanley Kubricks“Shining“ – nur halt nicht auf dem Dreirad). Die Parallele zu Franz Kafkas „Strafkolonie“ wurde schon des öfteren bemerkt.

Verheerend für die Tätowierkunst mag die unheilvolle Allianz aus Photoshop und Google sein. Digitale Inspiration mag ja okay sein, dass aber oftmals die Tattoomotive aus den erstbesten Suchergebnissen passend zum Motivwunsch des Kunden in Adobes Software „verwurstet“ werden, ist weder dem eigenen Anspruch –  den der Tätowierer an sich selbst haben sollte – noch dem Respekt dem Kunden gegenüber angemessen. Es ist in Ordnung, dass nicht jeder Tätowierer oder jede Tätowiererin kreativ arrangierte Bildkompositionen aus dem Hut (oder vielmehr dem Gehirn) schüttelt. Die Unendlichkeit an Inspiration und „Rohstoff“, den das Internet bietet, soll natürlich genutzt werden dürfen. Aber bitte nicht im Sinne eines gedankenlosen „Copy and Paste“.

Vielleicht hilft es weiter, sich bewusst zu machen, dass gerade Albrecht Dürer sich zum Beispiel nie als genialischen Typen von einem anderen Planeten gesehen hat. Nein, der Erschaffer der „Apokalyptischen Reiter“ nahm sich als Handwerker und Dienstleister wahr – das allerdings mit einem gehörigen Maß an Selbstbewusstsein. Er war auch kein der Inspiration hilflos ergebener und ausgelieferter Künstler, sondern vor allem ein betriebswirtschaftlich glasklar denkender Unternehmer.

Vielleicht können ja die Maler der Renaissance noch 500 Jahre nach ihrem Tod das perfekte Vorbild für den Tätowierer sein – in ihrer Synthese von Qualitätsanspruch, kontrolliertem Ausleben der eigenen Phantasie und Respekt gegenüber der Erwartungshaltung des Auftraggebers. Dann stellt sich die Frage „Handwerk oder Kunst“ auch gar nicht mehr so dringend.

Dürer Vier apokalyptische Reiter

Eines der größten Kunstwerke der Geschichte – und gleichzeitig Symbol eines perfekten Businesskonzepts: Dürers vier apokalyptische Reiter

28.04.2018